Ungeordnete Gedanken von Michael Zahradnik

Die Wahl ist vorbei, der Rechtsruck ist vollzogen. Zeit, zu analysieren, was ihn herbeigeführt hat. Neoliberales bis rechtspopulistisches Gedankengut hat, wenn man ÖVP, FPÖ und Neos zusammenzählt, eine 2/3Mehrheit an WählerInnenstimmen erreicht. Was haben diese Parteien richtig gemacht?

Ganz holzschnittartig:

Die ÖVP als konservative Partei, die Machtverhältnisse und Reichtum so lassen möchte, wie sie derzeit sind, haben allen Anschein nach viel richtig gemacht. Es wird Steuererleichterungen für die Betuchten geben, keine Erbschaftssteuern, finanziert durch Kürzungen beim Sozialstaat. Wenn die Sozialpartnerschaft durch Angriffe auf die Kammern massiv geschwächt werden, könnten diese Veränderungen (und Veränderungen sind ja scheinbar immer etwas Gutes!?) auch längerfristig abgesichert werden. Christlichsoziale Ansätze in der Kurz-ÖVP werden sich künftig deutlich schwerer tun.

Die FPÖ als nationalistische Partei, die alle Probleme durch „die Anderen“ (Ausländer, Muslime, Flüchtlinge…) hervorgerufen sieht, wird diese Sündenböcke in Zukunft deutlicher für alle möglichen Probleme bestrafen und bezahlen lassen. Natürlich auch für all die Probleme, wofür diese nun wirklich gar nichts können.

Die „einfachen“ WählerInnen von Strache und Kurz werden vielleicht einmal draufkommen, dass sie von den Veränderungen nicht wirklich profitieren werden (doch keine Angleichung der Arbeitsrechte von Arbeitern an das der Angestellten?? Doch kein Mindestlohn von 1500 Euro?? Geschwächte Arbeiterkammern?? Keine Kollektivverträge mehr in diversen Branchen oder Betrieben??) Ob ihnen – ähnlich den Trump-Wählern – bewusst werden könnte, dass möglicherweise gegen ihre eigenen Interessen gewählt haben könnten?? Oder ob es ihnen genug Genugtuung ist, es den Ausländern, den Sozialschmarotzern, den FeministInnen, den moralisierenden Besserwissern und all jenen, die von den Boulevardmedien so gerne als „Linkslinke“ bezeichnet werden, so erfolgreich gezeigt haben?

Als Demokrat, der sich nicht einbildet, stets und überall und vor allem für andere alles besser zu wissen, sollte man annehmen, die WählerInnen haben sich von den von ihnen Angekreuzten etwas erwartet, was ihnen helfen oder gefallen könnte. Und von den anderen eben nicht. Weil sie in den letzten Jahren halt nicht die Erfahrungen gemacht haben, dass die ihnen geholfen oder wenigstens gefallen hätten.

Was haben die Verlierer falsch gemacht?

Wieder holzschnittartig: Es mag am Zeitgeist liegen oder an der konkreten Performance der betroffenen Parteien. Aber ganz simpel gesagt: Wer konservative oder nationalistisch-rechtspopulistische Politik wollte, der hat in den letzten Jahren welche gekriegt – und wird künftig noch mehr davon kriegen. Wer sozialdemokratische Politik wollte, hat in den letzten Jahren oft genug nur Neoliberalismus light gekriegt. Oder Pseudoreformen, bei denen Sparmaßnahmen unter Etikettenschwindel als „fortschrittliche Verbesserungen“ verkauft wurden.

Auch und gerade in der Bildungspolitik

Da reicht es für ein Einwanderungsland, in das viele bildungsferne und die Unterrichtssprache nicht beherrschende Kinder und Jugendliche zuwandern, eben NICHT, dass man die eh lieb findet und zu ihnen freundlich sein soll. Um den Rest sollen sich halt die Lehrer und Lehrerinnen kümmern – zu schlechteren Bedingungen, weniger Ressourcen und einem für viele künftig schlechteren Dienstrecht. Das schafft keine Euphorie bei den Betroffenen, sondern eher das Gefühl, gelinkt worden zu sein. Damit war und ist auch leider eine wirklich gelungene Integration nicht zu schaffen gewesen. Allen Anstrengungen von vielen engagierten Lehrkräften zum Trotz.

Die Bildungspolitik der Kreisky-Ära war höchst erfolgreich. Sie hob die Qualität der Schulen. Sie baute mehr als jede zweite höhere Schule. Sie ermöglichte es (Stichwort Gratis-Schulbuch; Gratis-Schulfahrt) sozial Benachteiligten (oder oft familiär benachteiligten Mädchen) etwa, Matura zu machen, ohne ihre Eltern finanziell zu überfordern. Auf diese Politik war man als Sozialdemokrat stolz. Die damalige SPÖ setzte um, wofür sie stand. Und wusste, dass das Kosten verursacht. Aber das war es ihr wert. Und das wurde von den WählerInnen geschätzt und belohnt.

Die Bildungspolitik der letzten 3 Bildungsministerinnen der SPÖ sah leider anders aus: Eine hielt es für sozialdemokratisch, wenn LehrerInnen ums gleiche Geld um 10% mehr arbeiten sollten. Als eine Art „Solidarbeitrag“. Wofür? Für die FinanzspekulantInnen, die bei Hypo-Alpe-Adria oder Kommunalkredit Milliarden verjankert hatten? Für die Abfangjäger? Für den Koalitionspartner?

Das Geld fehlte dann bei den wohl wesentlichsten Bildungsbaustellen. Etwa bei qualitativ hochwertiger Vorschulerziehung. Das verpflichtende und kostenlose zweite Kindergartenjahr stand zweimal in Regierungserklärungen. Wurde aber nicht umgesetzt. HIER hätte Ungleichheit vermieden werden können. So organisierte man leider nur den Beweis, dass Inklusion und Integration in sehr inhomogenen Gruppen OHNE Support, OHNE verbesserte Bedingungen, OHNE zusätzliche Lehrkräfte nur scheiten können. Überhebliche Ratschläge selbsternannter „Bildungsexperten“ konnten diese Defizite nicht ausgleichen, sondern nur die Stimmung noch mehr vermiesen.

Ich persönlich habe mich geärgert, als Ministerin Hammerschmid im Sommerwahlkampf 5000 LehrerInnen mehr forderte. Aber nicht, weil diese Forderung falsch gewesen wäre – ganz im Gegenteil. Noch viel mehr würden wir brauchen, und endlich auch Supportpersonal (Schulpsychologinnen! Sozialarbeiter! DolmetscherInnen und und und…)! Geärgert habe ich mich, weil ich in den Jahren ihrer Verantwortung in Verhandlungen oft angeschnauzt wurde, wir würden keine Ressourcendiskussion führen, es gäbe kein Geld, was ich denn an dem Wort „Kostenneutralität“ nicht verstünde. (Nicht von der Ministerin selbst, die sahen wir bei keiner der Verhandlungsrunden, sondern von ihrem Generalsekretär, der sich als Sparmeister gefiel.) Ich konnte auf Hammerschmids 5000-LehrerInnen-Forderung nicht stolz sein. Ich dachte mir vielmehr: „Jetzt forderst du das? Jetzt, wo klar ist, dass du in wenigen Wochen sicher NICHT mehr Ministerin sein wirst? Echt tapfer – und wahnsinnig glaubwürdig!“

Eine klare Linie?

Ich habe hier einfach eine klare, sozialdemokratische Linie vermisst. Aber nicht nur in der Bildungspolitik. Detto – und durchaus damit zusammenhängend – in der Flüchtlingspolitik.

Wenn ich mir die Wahlergebnisse ansehe, dann sehe ich: Wiens SPÖ hat eine klare Linie behalten. Und bei den Gemeinderatswahlen gehalten. Und bei den Nationalratswahlen dazugewonnen.

Im Burgenland hat man mit der FPÖ koaliert. Und etliche Positionen übernommen. Dort hat man verloren, die ÖVP und die Blauen großgemacht. Rechtpopulismus light ist genauso wenig anziehend wie Neoliberalismus light. Damit schafft man auch kein Problembewusstsein und schon gar keine Lösungskompetenz. Da muss man Probleme eingestehen, und zu deren Bewältigung Geld in die Hand nehmen. Sonst organisiert man sich seine Fehlschläge sehenden Auges. Harakiri mit Anlauf.

Wenn ich will, dass mein ohnedies schon etwas angeschlagenes Auto mit mehr Passagieren und mehr Gepäck in schwierigerem Gelände dennoch sicher funktioniert, dann darf ich nicht am Service, an Schneeketten und am Öl sparen. Sonst geht das sicher schief.

Wenn das Wahlergebnis irgend etwas Positives haben soll, dann das: Die SPÖ soll in der Opposition sich wieder an die Interessen der Arbeitenden erinnern. Und diese vertreten. Darüber nachdenken und diskutieren, ob die Sozialdemokratie nicht irgendwann unter Klima, Schröder, Blair falsch abgebogen sein könnte. Dass ein Bernie Sanders eher einen Trump verhindern hätte können als eine Hillary Clinton. Viele Menschen haben das Gefühl (wahrscheinlich eher als Gefühl und nicht als Erkenntnis), dass derzeit in einer vom Finanzkapital dominierten Politik irgendetwas kräftig schiefläuft. Und der Sozialdemokratie wird hier wenig Lösungskompetenz zugebilligt.

Vielleicht, weil auch sie viel eher Geld für kränkelnde Banken als für Schulen und Kindergärten ausgegeben haben.

Und in dieser Situation ist es auch NICHT der richtige Weg, den Rechtspopulisten nachzuhecheln und nun auch auf deren Sündenböcke loszugehen, weil das scheinbar die Wähler wollen. (Nicht misszuverstehen: Natürlich gehören islamistische Attentäter verfolgt und aus dem Verkehr gezogen; gehören Ehrenmorde mit aller Kraft des Gesetzes verfolgt und bestraft; gehören selbsternannte Moralpolizisten zurückgestutzt usw.) Aber genauso gehören Flüchtlinge, die um ihr Leben gerannt sind, aufgenommen. Und wir müssen ihnen echte Chancen einräumen. Und nicht behaupten, sie wären schuld an all jenen Problemen von Wirtschaftskrise bis zu wenig Steuergeld für Schulen. Da gibt es nämlich andere Schuldtragende – und Sozialdemokraten sollten diese benennen.